28
Nov
2010

Bär im Bus

Neulich setzte sich der Bär im Bus neben mich. Ich erkannte ihn sofort. Als er so nahe sass, fiel mir zu ersten Mal auf, wie sehr seine Krankheit ihn gezeichnet hat. Er hat einen Kopf wie ein gerupfter Vogel mit seinen dünnen Lippen, seinen aufgeschwemmten Backen und seinem dürren Hals.

Wir waren am selben am Gymnasium. Aber ich glaube nicht, dass er sich an mich erinnert. Er galt als Musik-Crack und einmal habe ich ihn angesprochen und ihm gesagt, er solle mir alles über den Punk erzählen. Er sah nicht schlecht aus. Die Haare fielen ihm schräg ins Gesicht. Er hatte damals schon etwas Wildes im Blick. Vielleicht nannte ich ihn deshalb "der Bär".

Als ich nach Jahren anderswo in unsere Stadt zurückkam, sah ich ihn oft ziellos herumgehen. Er redete mit sich selber, und sein Blick war verstört. Er musste den Verstand verloren haben.

Ich kannte zwei Männer, die in ihren jungen Jahren psychisch krank wurden. Beide erkannten, dass ihnen das Leben in diesem sauberen Land keine Perspektiven bieten konnte. Sie hatten den Anstand, sich selber aus dem Weg zu räumen (sollte jemand Zweifel haben, ob ich das zynisch meine: Ja, ich meine es zynisch). Der eine sprang aus dem achten Stock. Der andere warf sich vor einen Zug.

Nicht der Bär. Der Bär wählte das Leben. Jahr für Jahr streifte er durch die Strassen der Stadt. Jahr für Jahr redete er auf seine Dämonen ein.

Ich habe nie mehr mit ihm gesprochen. Um ehrlich zu sein: Ich fürchte mich vor Männern, die auf der Strasse mit sich selber reden. Am Ende werde ich noch Teil seiner Paranoia, dachte ich.

Aber als er nach zwei Stationen ausstieg, war mein Herz voller Kummer.


Und hier der Song zum Sonntag.



Und zur politischen Gross- und Kleinwetterlage. Mick Jagger soll über diesen Song gesagt haben: "Es ist eine Art Ende-der-Welt-Lied, wirklich. Es ist die Apokalypse; die ganze Aufnahme."
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