Fussball in Istanbul
Seit gestern sind wir aus der Türkei zurück. Seit gestern ist die Fussball-EM zu Ende. Eigentlich ist es zu spät, die Erinnerung an unser persönliches Spiel der Spiele Revue passieren zu lassen: Schweiz - Türkei am 11. Juni. Ich werde es dennoch tun. Einfach, weil es so schön war: Wir sahen den Match in einer Seitengasse der Istiklal Caddesi, der Vergnügungsmeile von Istanbul. In einem kleinen Restaurant mit weissen Tischtüchern, warmem Licht und offenen Türen.
Neben dem Fernseher hing dieses Bild:
Es zeigt Mustafa Kemal Atatürk. Den Vater aller Türken. Den Mann, der nach dem Ersten Weltkrieg aus den Trümmern des Osmanischen Reiches die moderne Türkei schuf. Er starb 1938. Sein Bild sieht man in der Türkei heute noch täglich irgendwo. In unserem Restaurant wachte er über das Spiel und ich ahnte: Die Türken würden gewinnen. Denn wer wird nicht gewinnen, wenn dieser Blick über ihn wacht? Diese väterliche Wärme. Diese Ahnung von Grausamkeit. Das Wissen: Dieser Mann kann töten. Und die Ungewissheit: Aus welchem Anlass würde er es tun?
Hätte doch Fatih Terim gewusst, dass der Vater aller Türken persönlich über das Spiel wachte! Er hätte mit seinen Affentänzen gar nicht erst begonnen.
Das Restaurant wurde voll und voller. Den vordersten Zehnertisch füllte allein ein zahnloser, liebenswürdiger, aber nicht ganz zurechnungsfähiger Türke. Er gehörte wohl zur Familie. Jedenfalls behandelten ihn die zahlreichen Kellner mit freundlicher Nachsicht. Auch wenn er sich in Glücksmomenten den französischen Touristinnen am Nachbartisch allzu freudig an die Oberweite hängte. In der zweiten Reihe sass eine türkische Grossfamilie. Die weiteren Reihen füllten Touristenaus den USA, die selbstverständlich für die Türken waren. Wir, an einem Seitentisch, waren die einzigen Schweizer. Unser Jubel über das Goal von Hakan Yakin ging im Zorngeschrei der Türken unter.
Nun suchten die Türken den Ausgleich, und die Spannung steigerte den Appetit der Gäste ins Unermessliche. Auf silbernen Tabletten trugen die Kellner Berge von frittierten Sardellen und Calamares, Salat und volle Brotkörbe vorbei. Und dazu Getränke. Und später Teller voller Wassermelonenschnitze, Aprikosen und Kirschen.
Das Wetter trug viel zum allgemeinen Wohlgefühl bei: Derweil die Fussballkämpfer in der Schweiz durch knöcheltiefe Regenpfützen schlitterten, sass man in Istanbul im T-Shirt vorm Fernseher - trotz fortgeschrittener Stunde ohne Jäckchen. Als Semih in der 57. Minute das erste türkische Tor schoss, wurde aus dem Fussballfest vollends ein grosses Fressen.
Derweil erob sich draussen ein dumpfes Dröhnen. Rundum gab es Bars, die ihren letzten Stuhl vor den Fernseher im Freien gestellt hatten. Und die Zuschauer da draussen schienen alle Pauken mitgenommen zu haben. Es war ein gewaltiger Lärm. Die Istiklal Caddesi brodelte... ach was, brodeln tut sie jede Nacht, sie kochte über, sie zischte und dampfte wie ein Wasserfall auf einer gigantischen, hiessen Herdplatte. Die Spannung stieg ins Unermessliche.
Für uns wäre ein Unentschieden schon ok gewesen.
Doch dann, ganz am Schluss, fiel das Siegestor der Türken.
Der Zahnlose fiel den Französinnen um den Hals. Alle Türken sprangen auf und jubelten. Die Touristen sprangen auf und jubelten. Wir standen auf und taten irgendetwas. Draussen legte das Getöse an Dezibel zu. Dann kamen zwei Musiker herein und begann den allgemeinen Lärm mit traditioneller türkischer Volksmusik zu übertönen.
Mir wurde es zu laut. Wir gingen. Draussen zogen Scharen feiernder Türken mit Fahnen durch die Gassen.
Herr T. und ich machten uns auf den Weg in unsere Wohnung. "Eigentlich", sage ich zu Herrn T., als wir die erste ruhige Strasse fanden, "Eigentlich ist das für uns eine Win-Win-Situation. Die Türken hätten uns doch verhauen, wenn die Schweizer gewonnen hätten!" Solches Zeug behauptet die Frogg. Obwohl sie überhaupt kein Gesicht macht, als hätte sie eben sowieso gewonnen. Nein. Sie ist enttäuscht und fühlt sich einsam.
Erst später sollte sie feststellen, dass die Stärke der Türken erhebliche Vorteile hatte: So hielt das Fussballfieber in der Türkei noch zwei Wochen an. Es sorgte stets für guten Gesprächsstoff mit Reisebekanntschaften. Und für mächtige Spektakel: leintuchgrosse Türkenflaggen an den unglaublichsten Orten und Feuerwerke bei ersten Goal gegen die Deutschen.
Erst danach wurde es ruhiger.
Neben dem Fernseher hing dieses Bild:
Es zeigt Mustafa Kemal Atatürk. Den Vater aller Türken. Den Mann, der nach dem Ersten Weltkrieg aus den Trümmern des Osmanischen Reiches die moderne Türkei schuf. Er starb 1938. Sein Bild sieht man in der Türkei heute noch täglich irgendwo. In unserem Restaurant wachte er über das Spiel und ich ahnte: Die Türken würden gewinnen. Denn wer wird nicht gewinnen, wenn dieser Blick über ihn wacht? Diese väterliche Wärme. Diese Ahnung von Grausamkeit. Das Wissen: Dieser Mann kann töten. Und die Ungewissheit: Aus welchem Anlass würde er es tun?
Hätte doch Fatih Terim gewusst, dass der Vater aller Türken persönlich über das Spiel wachte! Er hätte mit seinen Affentänzen gar nicht erst begonnen.
Das Restaurant wurde voll und voller. Den vordersten Zehnertisch füllte allein ein zahnloser, liebenswürdiger, aber nicht ganz zurechnungsfähiger Türke. Er gehörte wohl zur Familie. Jedenfalls behandelten ihn die zahlreichen Kellner mit freundlicher Nachsicht. Auch wenn er sich in Glücksmomenten den französischen Touristinnen am Nachbartisch allzu freudig an die Oberweite hängte. In der zweiten Reihe sass eine türkische Grossfamilie. Die weiteren Reihen füllten Touristenaus den USA, die selbstverständlich für die Türken waren. Wir, an einem Seitentisch, waren die einzigen Schweizer. Unser Jubel über das Goal von Hakan Yakin ging im Zorngeschrei der Türken unter.
Nun suchten die Türken den Ausgleich, und die Spannung steigerte den Appetit der Gäste ins Unermessliche. Auf silbernen Tabletten trugen die Kellner Berge von frittierten Sardellen und Calamares, Salat und volle Brotkörbe vorbei. Und dazu Getränke. Und später Teller voller Wassermelonenschnitze, Aprikosen und Kirschen.
Das Wetter trug viel zum allgemeinen Wohlgefühl bei: Derweil die Fussballkämpfer in der Schweiz durch knöcheltiefe Regenpfützen schlitterten, sass man in Istanbul im T-Shirt vorm Fernseher - trotz fortgeschrittener Stunde ohne Jäckchen. Als Semih in der 57. Minute das erste türkische Tor schoss, wurde aus dem Fussballfest vollends ein grosses Fressen.
Derweil erob sich draussen ein dumpfes Dröhnen. Rundum gab es Bars, die ihren letzten Stuhl vor den Fernseher im Freien gestellt hatten. Und die Zuschauer da draussen schienen alle Pauken mitgenommen zu haben. Es war ein gewaltiger Lärm. Die Istiklal Caddesi brodelte... ach was, brodeln tut sie jede Nacht, sie kochte über, sie zischte und dampfte wie ein Wasserfall auf einer gigantischen, hiessen Herdplatte. Die Spannung stieg ins Unermessliche.
Für uns wäre ein Unentschieden schon ok gewesen.
Doch dann, ganz am Schluss, fiel das Siegestor der Türken.
Der Zahnlose fiel den Französinnen um den Hals. Alle Türken sprangen auf und jubelten. Die Touristen sprangen auf und jubelten. Wir standen auf und taten irgendetwas. Draussen legte das Getöse an Dezibel zu. Dann kamen zwei Musiker herein und begann den allgemeinen Lärm mit traditioneller türkischer Volksmusik zu übertönen.
Mir wurde es zu laut. Wir gingen. Draussen zogen Scharen feiernder Türken mit Fahnen durch die Gassen.
Herr T. und ich machten uns auf den Weg in unsere Wohnung. "Eigentlich", sage ich zu Herrn T., als wir die erste ruhige Strasse fanden, "Eigentlich ist das für uns eine Win-Win-Situation. Die Türken hätten uns doch verhauen, wenn die Schweizer gewonnen hätten!" Solches Zeug behauptet die Frogg. Obwohl sie überhaupt kein Gesicht macht, als hätte sie eben sowieso gewonnen. Nein. Sie ist enttäuscht und fühlt sich einsam.
Erst später sollte sie feststellen, dass die Stärke der Türken erhebliche Vorteile hatte: So hielt das Fussballfieber in der Türkei noch zwei Wochen an. Es sorgte stets für guten Gesprächsstoff mit Reisebekanntschaften. Und für mächtige Spektakel: leintuchgrosse Türkenflaggen an den unglaublichsten Orten und Feuerwerke bei ersten Goal gegen die Deutschen.
Erst danach wurde es ruhiger.
diefrogg - 30. Jun, 18:08
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