4
Apr
2008

Ich lese es doch

Jetzt habe ich es doch noch getan. Ich habe Die Wohlgesinnten von Jonathan Littell gekauft.

Jenes hoch umstrittene Buch, in dem der Autor einen fiktiven einstigen Nazi-Schergen auf 1359 Seiten seine Geschichte erzählen lässt.

Ich habe lange gezögert. Denn im Grunde würde ich mir die Gräuelgeschichten des Holocaust gerne ersparen. Ausserdem weiss ich, dass ernst zu nehmende Leute sagen, den Tätern im Holocaust dürfe man nie, überhaupt nie, eine Stimme geben.

Und dennoch werde ich das Buch jetzt lesen. Aus zwei Gründen:

1) Mich beschäftigt die Frage, was einen Menschen zum Scheusal macht. Welche Charakterzüge braucht es dazu? WIe müssen die Umstände sein?

Ich werde Littell die Antwort nicht einfach machen, denn eben habe ich Schindlers Liste von Thomas Keneally gelesen. Keneally zeigt darin historisch fundiert, dass die Umstände einen Menschen nicht zwangsläufig zu reissenden Bestie machen: Keneallys Held Oskar Schindler jedenfalls ist am Anfang nichts als ein genusssüchtiger Kriegsgewinnler in einer weiss Gott verrohten Umgebung. Er könnte fürchterliche Dinge tun und sich später darauf herausreden, er sei nur ein Rädchen im System gewesen. Statt dessen rettet er 1200 Juden das Leben. Sein Gegenspieler dagegen, Lagerkommandant Amon Göth, ist tatsächlich eine Bestie. Ein machtbesoffener, mörderischer Sadist. Keneally hat eine Antwort auf die Frage, was Göth zum Scheusal macht: Er zeigt ihn als Psychopathen, dem der Krieg einfach das Bisschen Zivilisation weggefressen hat, das ihn wahrscheinlich sonst zu einem halbwegs erträglichen Mitglied der Gesellschaft gemacht hätte. Sollte ich feststellen, dass Littell auf viel mehr Seiten genau dasselbe sagt, könnte ich das Buch nach 100 Seiten weglegen.

Wenn da nicht...

2) Die Tatsache wäre, dass mein Krimi Wurzeln im 2. Weltkrieg hat. Damit ich bei der Diskussion über das Thema à jour bleibe, werde ich nicht umhin kommen, den Wälzer zu lesen.

Ich werde Euch auf dem Laufenden halten, wie ich zurechtkomme. Und ich werde darüber gerne mit mir streiten lassen.
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