Abschied von 2007
Eigentlich gehört dieser Eintrag zum alten Jahr. Eigentlich hätte er in mein Griechenland-Epos vom letzten Sommer gehört. Aber ich habe das Epos ja dann doch nicht geschrieben, aus verschiedenen Gründen. Jetzt schreibe ich wenigstens noch dieses eine Kapitel davon – als endgültigen Abschied vom Jahr 2007. Und weil ich den Text meinem geschätzten Leser, dem Schallplattenfreund, versprochen habe. Hier ist er:
Ich habe Athen nie gemocht. Immer ähnelte mir die Stadt entweder zu sehr einem orientalischen Moloch oder zu sehr einem balkanischen Kaff. Immer und überall waren mir die Strassen in Athen zu schäbig und die Hotels zu schmuddelig. Auch dass Athen die Hauptstadt jenes Landes ist, das die Odyssee, die Olympiade, die Tragödie und die Komödie erfunden hat, wiegt diese Abneigung nicht auf.
Mein schlimmster Aufenthalt in Athen dauerte schier unerträgliche vier oder fünf Tage. Er war der Tiefpunkt einer Reise, für die die Frogg im Sommer 2007, rückblickend, plötzlich die richtige Bezeichnung fand: eine qualvolle Odyssee. Vielleicht liegt es einfach an dieser einen Reise, dass ich Athen nicht mag. Sie begann im Sommer 1986 in England. Ich hatte ein Jahr lang in Sussex in einem Kinderheim gearbeitet, hatte endlich Ferien und wollte dringend nach Hause. Vielleicht vor allem deshalb, weil ich nicht mehr so sicher wusste, wo zu Hause war. Klar. Im Haus meiner Eltern. Aber nur noch vorläufig. Ich war 21 und wollte weg von dort. Ich wollte studieren. Ich wollte endlich mein Erwachsenenleben beginnen.
Erst aber musste ich meine Jugendliebe Guido in Israel abholen. So hatten wir es abgemacht, ein Jahr zuvor, als er zum Theologiestudium nach Jerusalem aufgebrochen war. Unterdessen liebte die Frogg zwar längst einen anderen. English. Aber das war eine aussichtslose Geschichte. So aussichtslos, dass es sich nicht gelohnt hätte, es Guido in einem Brief zu beichten. Also buchte sie in Tunbridge Wells einen Flug nach Tel Aviv.
Am Abend vor ihrer Abreise fuhr sie nach London und ging dort ins Kino. Sie sah sich ausgerechnet den Film Sid & Nancy an. Danach nahm sie einen Zug nach Gatwick und legte sich auf eine Wartebank im Flughafen. In der schlaflosen Nacht dort dröhnte ihr nicht etwa die Punkmusik aus dem Film im Kopf herum. Nein, sie sah ständig die Bilder von jenem elenden Hotelkeller in New York, in dem Sid und Nancy die Zeit vor ihrem Tod verbrachten und weder von einander, noch vom Heroin loskamen. Na, da bin ich ja auf dieser Bank noch gut dran, sagte sie sich tapfer. Und in Israel wartet ein hübsches Studentenzimmer auf mich.
So war es auch tatsächlich. Ironie des Schicksals war nur, dass die Frogg sich wenige Wochen später in einem Hotelzimmer wiederfand, das puncto Elend dem New Yorker Zimmer von Sid und Nancy ernsthaft Konkurrenz machte: in Athen. Schuld war Guido. Denn er wollte sich nicht mit zwei Wochen Ferien begnügen, in denen er der Frogg Israel von hinten und vorne zeigte und an deren Ende er mit ihr ins Flugzeug nach Zürich gestiegen wäre. Nein. Er wollte mit dem Schiff nach Hause. Übers Mittelmeer. Von Tel Aviv bis nach Ancona. Mit Zwischenhalt in Athen. Und die Frogg reiste brav mit.
Bis, eben, nach Athen, wo gerade die Touristen-Hochsaison im Gange war und es kaum noch zahlbare Unterkünfte gab. Dort, in einem Kellerzimmer mit fünf Betten beim Omonia-Platz, hatte die Frogg ihre Krise. Sie beichtete Guido, dass sie eigentlich nur seinetwegen in diesem schäbigen Kaff war. Dass sie einen anderen liebte. Und dass sie nur noch nach Hause wollte, endlich ihr richtiges, ihr eigenes Leben beginnen.
Mein eigenes Leben. Aber was ist das für ein Leben geworden, fragte ich mich im Sommer 2007. Eine verzweifelte Frage, denn ich war mit meinem Leben nicht zufrieden. Inzwischen ist mir die Frage nicht mehr so wichtig. Ich versuche einfach das Beste aus dem zu machen, was mir noch bleibt. Hier und jetzt. Es gelingt erstaunlich oft.
In Athen aber, in jenem düsteren Hotelkeller, endete 1986 die Liebe zwischen Guido und mir. Oder wir hörten zumindest auf, uns an sie zu klammern. Faktisch endete sie erst ein halbes Jahr später, als wir endlich den Weg zurück in die Schweiz und unsere Plätze an zwei verschiedenen Unis gefunden hatten.
Ja, und auch das muss noch gesagt, sein, wenn wir schon vom Jahr 2007 reden: Guidos grosse Odyssee (ich bin mir sicher, dass es eine war) endete im Spätsommer 2007. Er starb auf einem Campingplatz im Tal M. den plötzlichen Herztod. Er war erst 46.
Geschätzter Schallplattenfreund: Dies hätte ein lustigerer Eintrag werden sollen. Ich habe mich hier offenbar total verspekuliert. Sorry.
Ich habe Athen nie gemocht. Immer ähnelte mir die Stadt entweder zu sehr einem orientalischen Moloch oder zu sehr einem balkanischen Kaff. Immer und überall waren mir die Strassen in Athen zu schäbig und die Hotels zu schmuddelig. Auch dass Athen die Hauptstadt jenes Landes ist, das die Odyssee, die Olympiade, die Tragödie und die Komödie erfunden hat, wiegt diese Abneigung nicht auf.
Mein schlimmster Aufenthalt in Athen dauerte schier unerträgliche vier oder fünf Tage. Er war der Tiefpunkt einer Reise, für die die Frogg im Sommer 2007, rückblickend, plötzlich die richtige Bezeichnung fand: eine qualvolle Odyssee. Vielleicht liegt es einfach an dieser einen Reise, dass ich Athen nicht mag. Sie begann im Sommer 1986 in England. Ich hatte ein Jahr lang in Sussex in einem Kinderheim gearbeitet, hatte endlich Ferien und wollte dringend nach Hause. Vielleicht vor allem deshalb, weil ich nicht mehr so sicher wusste, wo zu Hause war. Klar. Im Haus meiner Eltern. Aber nur noch vorläufig. Ich war 21 und wollte weg von dort. Ich wollte studieren. Ich wollte endlich mein Erwachsenenleben beginnen.
Erst aber musste ich meine Jugendliebe Guido in Israel abholen. So hatten wir es abgemacht, ein Jahr zuvor, als er zum Theologiestudium nach Jerusalem aufgebrochen war. Unterdessen liebte die Frogg zwar längst einen anderen. English. Aber das war eine aussichtslose Geschichte. So aussichtslos, dass es sich nicht gelohnt hätte, es Guido in einem Brief zu beichten. Also buchte sie in Tunbridge Wells einen Flug nach Tel Aviv.
Am Abend vor ihrer Abreise fuhr sie nach London und ging dort ins Kino. Sie sah sich ausgerechnet den Film Sid & Nancy an. Danach nahm sie einen Zug nach Gatwick und legte sich auf eine Wartebank im Flughafen. In der schlaflosen Nacht dort dröhnte ihr nicht etwa die Punkmusik aus dem Film im Kopf herum. Nein, sie sah ständig die Bilder von jenem elenden Hotelkeller in New York, in dem Sid und Nancy die Zeit vor ihrem Tod verbrachten und weder von einander, noch vom Heroin loskamen. Na, da bin ich ja auf dieser Bank noch gut dran, sagte sie sich tapfer. Und in Israel wartet ein hübsches Studentenzimmer auf mich.
So war es auch tatsächlich. Ironie des Schicksals war nur, dass die Frogg sich wenige Wochen später in einem Hotelzimmer wiederfand, das puncto Elend dem New Yorker Zimmer von Sid und Nancy ernsthaft Konkurrenz machte: in Athen. Schuld war Guido. Denn er wollte sich nicht mit zwei Wochen Ferien begnügen, in denen er der Frogg Israel von hinten und vorne zeigte und an deren Ende er mit ihr ins Flugzeug nach Zürich gestiegen wäre. Nein. Er wollte mit dem Schiff nach Hause. Übers Mittelmeer. Von Tel Aviv bis nach Ancona. Mit Zwischenhalt in Athen. Und die Frogg reiste brav mit.
Bis, eben, nach Athen, wo gerade die Touristen-Hochsaison im Gange war und es kaum noch zahlbare Unterkünfte gab. Dort, in einem Kellerzimmer mit fünf Betten beim Omonia-Platz, hatte die Frogg ihre Krise. Sie beichtete Guido, dass sie eigentlich nur seinetwegen in diesem schäbigen Kaff war. Dass sie einen anderen liebte. Und dass sie nur noch nach Hause wollte, endlich ihr richtiges, ihr eigenes Leben beginnen.
Mein eigenes Leben. Aber was ist das für ein Leben geworden, fragte ich mich im Sommer 2007. Eine verzweifelte Frage, denn ich war mit meinem Leben nicht zufrieden. Inzwischen ist mir die Frage nicht mehr so wichtig. Ich versuche einfach das Beste aus dem zu machen, was mir noch bleibt. Hier und jetzt. Es gelingt erstaunlich oft.
In Athen aber, in jenem düsteren Hotelkeller, endete 1986 die Liebe zwischen Guido und mir. Oder wir hörten zumindest auf, uns an sie zu klammern. Faktisch endete sie erst ein halbes Jahr später, als wir endlich den Weg zurück in die Schweiz und unsere Plätze an zwei verschiedenen Unis gefunden hatten.
Ja, und auch das muss noch gesagt, sein, wenn wir schon vom Jahr 2007 reden: Guidos grosse Odyssee (ich bin mir sicher, dass es eine war) endete im Spätsommer 2007. Er starb auf einem Campingplatz im Tal M. den plötzlichen Herztod. Er war erst 46.
Geschätzter Schallplattenfreund: Dies hätte ein lustigerer Eintrag werden sollen. Ich habe mich hier offenbar total verspekuliert. Sorry.
diefrogg - 1. Jan, 18:19
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