14
Apr
2012

Sentimentaler Männerfilm

Ich sass im Kino, sah "Intouchables" und rund um mich lachten die Leute. Ihr wisst schon: Intouchables ist dieser Kinoknüller aus Frankreich, in dem ein steinreicher Tetraplegiker einen jungen Kerl aus der Banlieue zum Betreuer nimmt.



Ich lachte nicht. Ich hatte keine Zeit, den Film komisch zu finden. Denn ich verstand ihn nicht. Warum, rätselte ich, warum wählt ein so stark behinderter Mensch einen Rüpel mit dem Einfühlungsvermögen eines Presslufthammers zum Pfleger?

Ich selber bin ja ab und zu merklich hörbehindert. Dann bin ich gerne von Leuten umgeben, die schnell wenigstens ansatzweise erfassen, was das bedeutet. Zum Beispiel für die Kommunikation. Aber Tetraplegiker Philippe hat offensichtlich andere Bedürfnisse. Er ist eben ein Mann, dachte ich. "Verstehe eine die Männer!" dachte ich. Und dann fiel bei mir der Groschen: Das ist es! Philippe will einen richtigen Mann zum Pfleger! Diese handgestrickten Softie-Memmen, die sich sonst noch für die Stelle beworben haben, machen ihn depressiv. Und so wählt er den Obermacker Driss - einen, der schnelle Autos liebt und das Parkverbot vor dem Haus seines Herrn mit den Fäusten durchsetzt. Und der weiss, was Frauen wollen.

Nun ist Driss zwar sehr maskulin. Aber als Ex-Knacki und ohne Geld ist er eben auch kein wirklich ganzer Kerl. Im Dienste seines neuen Herrn ändert sich das allmählich: Er bekommt zuerst eine luxuriöse Unterkunft und dann eine Einführung in die Welt der Privilegierten - mitsamt Kunstunterricht.

So ist "Intouchables" ein wahrscheinlich witziger und - das ist mir nicht entgangen - leicht sentimentaler Film: ein Film über zwei Männer, die einander helfen, ihre Männlichkeit wiederzuerlangen. Eine These, die hier viel besser als bei mir ausgeführt wird.

Das ist ganz okay. Damit habe ich überhaupt kein Problem.

Mehr Probleme habe ich damit, dass ich im Grunde so wenig über Philippe und seine Behinderung erfahre. Dieser Philippe ist ja so schicksalsergeben, so massvoll traurig und von Driss so leicht zu erheitern. Und überhaupt hätte ich gern gewusst, wie Philippe das Kapital für seinen fürstlichen Lebensstil zusammenbringt. Da lobe ich mir Al Pacino in Scent of a Woman. Auch das ist ein leicht sentimentaler Film über einen Mann mit Behinderung und seinen Begleiter. Auch ein Film über Männer. Aber Pacino ist wenigstens masslos verbittert. Und, glaubt mir: Er weiss, was Frauen wollen!

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Lust.Bar - 14. Apr, 12:38

Ich fand den Film - hier heißt er "Ziemlich beste Freunde" - einfach genial. Ich hab viel gelacht, auch wenn mir das Lachen manchmal im Hals steckenblieb. Und mir war schnell klar, warum Philippe sich grad diesen Mann ausgesucht hat. Ich glaub nicht, dass es darum ging, einen richtigen Mann zum Pfleger zu haben. Er hatte es einfach satt, bemitleidet und als Behinderter behandelt zu werden. Driss war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er keine Zeit für Mitleid hatte. Philippe dürstete nach Abwechslung und Spannung. Und das bekam er.
Für mich stand auch nicht die Männlichkeit und die Wiedererlangung dieser Männlichkeit im Vordergrund. Eigentlich war es ein ziemlich aggressiver Akt von Philippe, Driss zu wählen, der ja nur seinen Stempel abholen wollte. Nix da, sagte Philippe, Arbeit statt Stempel. Er forderte den Kerl. Und der Kerl ihn.

Wie gesagt, ich mochte den Film sehr. Und ich wollte auch nicht mehr erfahren über die Behinderung. Was hätte dem Film das gebracht?

diefrogg - 14. Apr, 12:47

Danke für Deinen...

Kommentar. Ich bin mir darüber im klaren, dass ich mit meiner Meinung ziemlich alleine dastehe.

Natürlich gebe ich Dir in einem Punkt Recht: Philippe sagt klipp und klar, er wolle kein Mitleid. Mitleid ist aber nicht dasselbe wie Einfühlungsvermögen. Einfühlungsvermögen heisst, dass man wahrnimmt, welche Bedürfnisse das Gegenüber hat - und wo nötig - taktvoll hilft. Dafür ist ein Pfleger ja da. Mitleid ist eine Art von Hilflosigkeit, die sich die wenigstens Menschen mit Behinderung wünschen. Driss hat aber nicht nur kein Mitleid mit Philippe. Er nimmt ihn zunächst gar nicht richtig wahr. Zum Beispiel müsste er als halbwegs einfühlsamer Mensch bemerken, dass Philippe aus dem Rollstuhl fällt, wenn man ihn nicht festbindet.

Und jemanden Behinderten nicht als Behinderten behandeln - das geht in manchen Situationen. In vielen anderen aber schafft man das nur mit sehr viel Ignoranz und Rücksichtslosigkeit. Das sage ich als Hörbehinderte jetzt mal klipp und klar: Ich will, dass man mich wie eine erwachsene Person behandelt - aber ich will auch, dass man meine Behinderung wahrnimmt, wo es nötig ist.

Noch zur Frage, was es dem Film gebracht hätte, wenn man mehr über Philippes Behinderung erfahren hätte: Dann hätte der Film genau das getan, was ich eigentlich von ihm erwartete: Er hätte bei einem breiten Publikum Verständnis für die Lage von Menschen mit einer Behinderung geweckt. Aber das ist wohl bei einem Wohlfühl-Film etwas viel verlangt. Und er hätte verständlich gemacht, weshalb der Film überhaupt "Intouchables" heisst - dass hier Aussenseiter gezeigt werden. Aber auf Deutsch hiess er ja "Ziemlich beste Freunde" - ein viel besserer Titel, bei Licht betrachtet.
sunsan2 - 15. Apr, 18:05

Liebe Frau Frogg,

ich mag deine scharfsinnige Art, deine Beobachtungs- und Analysefähigkeit.

Ich habe mir den Film ebenso angesehen und für mich war er ebenso der Wohlfühl-Film. Ich fühlte mich in der Tat sehr wohl danach. Allerdings mehr Tiefe im Sinne des Weckens von Verständnis für die Lage von Menschen mit einer Behinderung hätte den Film auch für mich noch wertvoller gemacht.

Susanne
PS: Ich habe soeben einen (noch nicht veröffentlichten) Artikel namens "Memmenhaftigkeit" geschrieben und musste lachen, als ich das gleiche Wort auch bei dir fand.

diefrogg - 16. Apr, 10:27

Oh, da hätte ich...

natürlich gerne das Passwort! Schickst Dus mir per Mail?

A propos Wohlfühl-Film: Vielleicht bin ich mit meinem Urteil zu streng. Eigentlich könnte ich mich ja damit zufrieden geben, dass in dem Streifen ein Typ aus der Banlieue und ein Mann mit einer Behinderung positiv dargestellt werden. Aber ab einem gewissen Grad eigener Betroffenheit wird man vielleicht manchmal zu kritisch.
Jossele - 16. Apr, 18:27

Auch ich habe bei "Ziemlich beste Freunde" gelacht, und ich hab auch geweint, weil all das gehört zusammen, genau so.
Behinderung ist ein Los das sich wohl kaum jemand aussucht, aber Leben ist trotzdem.
Das Wie entscheidet man selbst.
Der Verlust von Sinnen oder Fähigkeiten erübrigt nicht die Frage nach dem Sinn.
Wer bin ich?

diefrogg - 17. Apr, 15:18

Merkwürdig!

Geweint habe ich definitiv nicht... obwohl ich sonst immer diejenige bin, die statt Papiertaschentücher am besten gleich einen riesigen Eimer mit ins Kino nähme!

Aber, ja: Darum geht es wohl - um die Frage nach dem Sinn. Und diesbezüglich scheinen definitiv nicht alle die gleichen Vorstellungen zu haben.
Ani72 - 18. Apr, 12:25

Ich fand den Film auch super gut. Und wie gesagt, ich habe schwerbehinderte Freunde. Die auch überhaupt nicht verbittert sind. Warum muss man denn unbedingt mit dem Leben hadern, wenn man behindert ist? Das ist mal wieder so eine typische Sichtweise von Gesunden. Wir teilen das Leben in lebenswert und nicht lebenswert ein. Meine Freundin hatte eine Hirnblutung, ähnlich wie Gaby Kösters. Danach große Schwierigkeiten mit allem. Ist jetzt auch noch gelähmt. Aber glaube mir, sie ist genauso wie dieser Phillipe. Sie will einfach das man sie als Mensch sieht.

Genauso wie ein anderer Bekannter. Der durch einen Kunstfehler einen Arm verlor.

Wie die beiden mit ihrer Behinderung umgehen, dass würde Dich wohl eher erschrecken. Diese nicht korrekten Sprüche die Driss im Film sagt, haben die beiden auch drauf. Da kommen Sprüche, dass glaubst du nicht. Aber das ist den ihre Art damit umzugehen. Mitleid empfinden sie eher als Beleidigung als wenn jemand etwas unangebrachtes sagt. Sie möchten nicht "geschont" werden oder das man permanent auf ihre Gefühle Rücksicht nimmt.

Als ich den Film sah, dachte ich an meine Freunde. Ich erkannte einfach die Personen wieder, auch wenn das Schicksal ein komplett anderes ist.

diefrogg - 18. Apr, 13:24

Ich wüsste zu gerne...

woher Du so genau zu wissen glaubst, womit man mich erschrecken kann. Und warum man mit dem...Leben hadern muss, wenn man eine Behinderung hat? Ich weiss es nicht. Wahrscheinlich muss man nicht - und es ist für alle Zuschauer bequemer, wenn man es nicht öffentlich tut. Aber ich erlaube mir, ab und zu mit meiner zunehmenden Schwerhörigkeit, den Schwindelanfällen und dem Tinnitus zu hadern. Nicht jeden Tag. Aber gelegentlich. Gesunden werde ich es allerdings in Zukunft erst dann zeigen, wenn ch weiss, dass ich ihnen vertrauen kann, und dass sie "verstehen" nicht mit "Mitleid haben" verwechseln. Siehe beim Kommentar von "Lust.Bar".
sunsan2 - 20. Apr, 10:23

Ich habe den Eindruck, dass hier Verbitterung mit Hadern verwechselt wird und das dann auch noch gleich mit dem Leben und nicht nur mit der Krankheit bzw. den Auswirkungen der Krankheit.

Wenn jemand stirbt, dann trauern wir um die Person, die uns nahestand. Wir hadern mit dem Verlust des Menschen, der uns nahestand. Erst mehr, dann mit der Zeit (hoffentlich) langsam weniger bzw. wird der Schmerz auch dumpfer. Wenn wir diesen Verlust nicht verkraften, dann kann sich das u.a. in Verbitterung umschlagen. So sehe ich das.

Ich denke, dass es mit dem Verlust der Gesundheit wohl nicht anders ist. Ich bin dankbar dafür, dass ich mit meinem Verlust hadern kann, d.h. ihn betrauern kann, ihn zulasse und mir erlaube. Ich hadere dabei nicht mit meinem Leben sondern mit dem was mich in meinem täglichen Leben einschränkt, mir schwer fällt, mich mitunter auch schwach und ängstlich fühlen lässt.

Die Krankheit Morbus Menière ist verbunden mit einem Verlust der körperlichen Kontrolle zumindest eines Teils und - bei mir - immer wiederkehrenden Schwindel...... Diese Zustände wirken sich auf mein Leben aus. Sie ziehen auch Veränderungen nach sich, die wenig angenehm sind, so z.B. ist der Erhalt der vollen Arbeitsfähigkeit für mich fraglich. Wer damit wohl nicht hadert?
Und: mein Leben ist derzeit immer noch lebenswert. Ob das so bleibt und man sich an diesen Dauerschwindelzustand gewöhnen kann, vermag ich heute nicht zu sagen. Das Hadern mit der Schwerhörigkeit ist weniger geworden. Für manche Auswirkungen bin ich sogar dankbar. Die Schwerhörigkeit verändert mein Leben mitunter auch postiv. Ich hoffe, dass dies auch so mit dem Morbus Menière wird.

Ich für mich habe mir angewöhnt, möglichst keine Urteile/Bewertungen mehr zu fällen, solange ich nicht in den Schuhen der anderen Person gelebt habe. So hätte ich früher - im Vollbesitz meiner körperlichen Kontrolle - Schwindel und Morbus Menière-Anfälle mit allen seinen Folgewirkungen niemals auch nur annähernd nachvollziehen können.

Mitleid empfinde ich nicht als Beleidigung. Mitleid erhebt sich für mich dann bei einer Person wenn mein Leid bei ihr Emotionen auslöst. Mitleid ist somit das Leid der Person und hat für mich nicht mehr mit mir zu tun, als dass es durch meine Krankheit ausgelöst wurde. Wenn jemand mit mir mitfühlt sehe ich es als Ausdruck dessen, dass mich diese Person mag und das finde ich schön.

Schonen braucht mich niemand, einen rücksichtsvollen Umgang mit meinen Gefühlen ist für mich generell wünschenswert. Von Menschen, die nicht rücksichtsvoll sind, verabschiede ich mich wieder.

Soviel zum Verstehen von Behinderung aus der Sicht einer Behinderten und zum Hadern mit ihren Auswirkungen.
diefrogg - 20. Apr, 12:29

Danke Susanne!

Dieser Kommentar gefällt mir sehr gut! Ich hätte es selber nicht besser auf den Punkt bringen können!
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