30
Nov
2010

Wiedersehen mit Bridget Jones

Erinnert sich hier jemand an Bridget Jones? Ihr wisst schon: Die mollige Ulknudel, die im Film erst eine Affäre mit Hugh Grant hat und dann im etwas steifen Colin Firth ihren Märchenprinzen findet?

Zur Erinnerung:



Um die Jahrtausendwende liebte ich Bridget Jones. Ich entdeckte zuerst das Buch und fand es grossartig. "Diese Geschichte bringt uns Frauen der neunziger Jahre aufs kulturelle Parkett", dachte ich. Sicher, puncto literarische Qualität kam schon der erste der beiden Romane nicht ganz an Thomas Mann oder James Joyce heran. Und der zweite ist viel zu hysterisch. Aber die Geschichte brachte ein paar Dinge über unsere Generation Frauen auf den Punkt. Dass wir zwar mehr Schuldbildung mit ins Erwachsenenleben brachten als jede Frauengeneration vor uns. Dass unser Tritt im Beruf aber oft dennoch alles andere als sicher war, unsere Jobs oft genug wenig Sinn stiftend. Dass uns dafür unser Freundeskreis wichtig war, dass wir uns frei in der Stadt bewegen und rauschende Parties feiern konnten.

Dass bei Bridget schliesslich doch alles auf das Happy End mit Traummann herauslief, akzeptierte die weltläufige Frau jener Jahre als notwendigen Kompromiss mit den Erfordernissen des Kommerzes.

Den Film fand ich zwar etwas überdreht. Ich meine: Er lebt davon, dass er die verzerrte Selbstwahrnehmung von Bridget bildlich darstellt. Bridget. Jones ist nicht so doof, wie sie im Film herüberkommt. Sie sieht sich bloss selber so. Das muss man begreifen, dann ist Bridget mehr als eine Tusse, deren Charme darin besteht, dass sie schlüpfrige Witze macht und sagenhaft dämlich ist. Dann enthält diese schwungvolle Komödie sogar noch ein Quäntchen Kritik an den herrschenden Verhältnissen: Diesen Blick auf uns selbst zwingt uns Frauen das System auf, dachten wir.

Neulich kam der Film am Fernsehen, und Frau Frogg erlitt einen mittleren Schock. "War unser Leben wirklich so leer?!" staunte sie, "Bestand es wirklich nur aus Kalorien, alkoholseligen Parties und - mehr oder weniger selten - Sex? Waren unsere Freunde auch solch herzlose Idioten?! Was ist diese Bridget für ein unglücklicher Mensch! War ich auch so?"

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acqua - 30. Nov, 21:55

Ach Bridget Jones! Der Film lief im (bisher, aber ich hoffe, dabei bleibt es auch) unglücklichsten Jahr meines Lebens in den Kinos. Ich sah in im Open Air Kino und konnte kaum begreifen, warum die Leute immer an den Stellen lachten, die ich besonders traurig fand. Genau so schlimm war das Leben doch, fand ich. Das war nicht lustig.

diefrogg - 1. Dez, 11:39

Ach, acqua!

Rückblickend verstehe ich das wirklich sehr gut! Ich hatte übrigens letztes Mal ein ähnlich unbequemes Wiedersehen mit dem Film "Burn after Reading", den ich hier einmal verrissen habe. Ich fand ihn damals dämlich, bekam ihn als DVD zu Weihnachten und guckte ihn dieser Tage doch wieder. Diesmal fand ich ihn furchtbar grausam. Ich erkenne mich in einer Figur wieder: in Cox, der wegen seines Alkoholproblems seine Stelle verliert und total dämliche Memoiren zu schreiben beginnt. Der Film ist eine bitterböse Satire über Menschen mittleren Alters, die ihren Status und damit ihren gesellschaftlichen Wert verlieren. Ich frage mich schon: Wo komme ich bloss hin, wenn ich angelsächsische Komödien nicht mehr lustig, sondern nur noch grausam finde?
Täuschblume - 1. Dez, 11:54

Weil ich zurzeit am Tilda Swinton Filme "sammeln" bin, würde ich mir gerne
burn after reading bei dir ausleihen.
Im Gegenzug hätte ich das aktuelle DU über Tildas Swinton anzubieten.

rosawer - 1. Dez, 13:50

hast du eigentlich gemerkt,

Frau Frogg, dass Du Schuldbildung geschrieben hast? Wirklich: SCHULDbildung, und nicht etwa SCHULbildung (was ich annehme, dass Du gemeint hast). Eine typische Freud'sche Fehlleistung? Und was hat das dann mit der doppelten Perspektive von dargestellter Leere (und Leichtigkeit?) und erlebter Grausamkeit (und Realität?) zu tun?

diefrogg - 1. Dez, 20:43

Grausam...

finde ich nicht das, was ich erlebe. Grausam finde ich die beiden angelsächsischen Komödien, die ich hier erwähne. Das eine hat wohl nur sehr relativ mit dem anderen zu tun (der Herr Kulturflaneur würde sogar sehr vollmundig behaupten: rein gar nichts). Frustrierend an Bridget finde ich die innere Leere. Ich erwarte von einer Komödienfigur keine Tiefe. Aber hatten wir nicht wenigstens ein Ideal oder zwei? Versuchten (und versuchen) wir nicht immer noch ein bisschen, die Welt zu verändern? (Na gut, vielleicht ist es ganz in Ordnung, dass der Film sich darüber nicht auch noch lustig macht).

Das mit der Schuldbildung ist wahrlich ein interessanter Verschreiber, und ich werde ihn auch nicht korrigieren. Allerdings arbeite ich zu lange im Zeitungs-Businnes, um an Freud'sche Verschreiber zu glauben. Ein Flüchtigkeitsfehler ist ein Flüchtigkeitsfehler. Punkt.

Und was die "doppelte Perspektive" betrifft: Ich bin mir nicht ganz sicher, was Du damit meinst. Bei Cox aus "Burn After Reading" hat meine Wahrnehmung von Grausamkeit wohl damit zu tun, dass ich sehe, wie Leute aus dem journalistischen Establishment ihre abgehalfterten Kollegen sehen - wenn man den Film so sieht, ist er wirklich bitterböse zu Cox. Aber ich weiss nicht, ob andere den Film auch so sehen.
walküre - 1. Dez, 21:21

Bridget Jones war als Buch ein Bestseller, aber blieb stets für mich als Leseratte reizlos, nachdem ich ungefähr wusste, worum es ging. Kalorienzählen kannte ich aus eigener leidvoller Erfahrung, also ist das sicher kein Thema für Unterhaltungslektüre für mich, Alkohol detto (Ich krieg schon einen Schwips, wenn man ein Glas Wein vor mich hinstellt), und Sex, naja, war mangels Partner ohnehin kein Sujet. Dafür materiell am Existenzminimum oder noch darunter, mit einer Babytochter und frisch geschieden. Vor ungefähr zwei Jahren habe ich ausschnittweise den Film gesehen und war enttäuscht, weil er eigentlich Lichtjahre entfernt war von allen Szenarien, in denen ich bist dato gelebt hatte. Ich kenne eigentlich auch keine Frau, auf die die Handlung zugetroffen hätte ...

diefrogg - 1. Dez, 21:35

Doch, sie kennen eine,...

wenigstens virtuell: mich (obwohl ich damals leider nicht in London lebte, aber wenigstens in einer anderen richtigen Stadt). Aber ich verstehe schon: Ihre Erfahrung in den Neunzigern war wirklich radikal anders - und ich gehe jetzt davon aus, dass sie in den späten Neunzigern die wilden Frühdreissiger schon hinter sich hatten. Ich war noch mittendrin.
walküre - 1. Dez, 21:43

Ich kann mir Sie in diesem Szenario nicht vorstellen. Sie haben zuviel Tiefgang, als dass das wirklich Ihre Welt gewesen wäre.
diefrogg - 1. Dez, 22:04

Danke für das...

Kompliment, Frau Walküre! Es könnte also sein, dass ich den damals noch nicht hatte ;)

Edit: Doch, wahrscheinlich hatte ich den Tiefgang. Zumindest teilweise. Das Problem beim Film ist, dass er halt fehlt - was mich damals nicht störte, weil ein Film ja auf bestimmte Aspekte fokussieren muss (beim Kalorienzählen traf er offenbar klar einen Nerv, auch bei Ihnen. Für mich war aber immer klar, dass man diesbezüglich über sich selber lachen können muss. Wie bei noch ein paar anderen Aspekten des Films). Was den Roman betrifft, so kommt die Rezeption wohl auf die Lebenswirklichkeit an, die man damals hatte. Helen Fielding begann die Story von Bridget ja als Kolumnen-Serie. Der Erfolg in der Zeitung beweist, dass ihre kolumnistisch überzeichnete Darstellung von Bridget - ein bisschen wie Martin Suters Geri Schwager - durchaus ihre Gültigkeit hatte.

Aber da Sie das Buch nicht gelesen haben, können wir wahrscheinlich darüber nicht vertieft diskutieren.
walküre - 2. Dez, 10:57

Stimmt, und ich werde das Buch auch sehr wahrscheinlich nicht mehr lesen.

Allerdings fällt mir auf, dass das Problem tatsächlich bei den Kolumnen liegen könnte; als Kolumnist besitzt man schließlich weitgehend die Freiheit, ein beliebiges Sujet aufzunehmen und darüber zu schreiben, was meist zu sehr pointierten Beobachtungen führt. Diese Kolumnen dann in eine Handlung zu zwängen, ist wieder eine ganz andere Geschichte. Apropos Martin Suter: Ich finde "Business Class" sehr treffend, könnte bzw. möchte mir aber keinen Film auf der Basis dieser Kurzgeschichten vorstellen.
diefrogg - 4. Dez, 10:36

Ich möchte mich, Frau Walküre,

einer solchen Idee nicht a priori verschliessen. Ich habe jedenfalls laut herausgelacht, als ich heute Morgen gelesen habe, Stephan Eicher bereite gerade die Premiere zu seinem Singspiel Geri vor! Zusammen mit Martin Suter. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich mir das ansehe.

Falls Ihnen Eicher nicht bekannt sein sollte, empfehle ich Ihnen sehr, hier hinein zu hören:



Den Song hier hat er mit Martin Suter verfasst. Ich liefere gern eine Übersetzung, falls nötig. Vielleicht kann man Ihnen das zumuten. Eicher ist ja nicht für mangelnden Tiefgang bekannt.
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