9
Feb
2015

Fingeralphabet

Mein Patensohn Tim (9) erzählt stolz: "In der Schule haben wir zuerst das Thema Sehbehinderte durchgenommen. Dann das Thema Hördehinderte." Er hat sogar das Fingeralphabet gelernt, was mir grossen Eindruck macht. Vielleicht sollte ich es auch lernen, damit wir zusammen im Fingeralphabet witzeln können.

"Wir haben auch Regeln gelernt, wie man mit Hörbehinderten umgehen soll", berichtet er.

"Was sind denn die Regeln?" frage ich.

"Erstens: Anschauen beim Sprechen, nuschelnuschel, antippen oder nuschelnuschelnuschel. Nuschelnuschelnuschelnuschel."

Oder anders gesagt: Ich verstehe kein Wort. Er vergisst immer wieder, dass ich eine Hörbehinderte bin.

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sunsan2 - 14. Feb, 21:12

Hallo Frau Frogg,
ich bin sehr beeindruckt, dass in der Schule über den Umgang mit Hörbehinderten und sogar das Fingeralphabet gelehrt wird.
Liebe Grüße
Susanne

diefrogg - 15. Feb, 09:53

Ja, das war ich auch -

und ich fand es natürlich beeindruckend und lustig, dass Tim das Fingeralphabet gelernt hat (obwohl es ja in der alltäglichen Kommunikation wenig bringt).

Allerdings - und da kann Tim nichts dafür - scheint da viel graue Theorie dabei gewesen zu sein. Da scheint eine Vorstellung von "Behinderten" aufgebaut worden zu sein, die mit real existierenden Menschen wenig zu tun hat. Oder etwas überspitzt formuliert: Da erscheint "der Behinderte" geradezu schulbuchmässig als "der Andere", "der Fremde", "das unheimliche Wesen" aufgebaut worden zu sein. Jedenfalls sieht Tim mich nicht als Hörbehinderte. Und um es laut und deutlich zu sagen: Das finde ich nicht gut. Denn ich bin hörbehindert, auch wenn ich daneben viele andere Sachen auch noch bin.

Naja, ich habe eben immer etwas zu mäkeln, wenn es um Inklusion geht...

Aber anyway: Ich habe dann einer Freundin davon erzählt, die selber scherhörig ist und gelegentlich Kurse gibt. Sie sagte, es würde sehr helfen, wenn in solche Lehrveranstaltungen jeweils Betroffene eingeladen würden.
sunsan2 - 16. Feb, 10:17

komisch.. mir fehlt der Antwortbutton unterhalb deines Textes.

Ja das Einladen von Betroffenen würde vieles erlebbar, spürbar und besser nachvollziehbar machen. Diese Idee finde ich sehr gut. Ich habe letztes Jahr beim IKT-Forum einen Vortrag gehalten: "Schwerhörigkeit verstehen und Strategien für eine gelungene Kommunikation". Darin habe ich viele Beispiele aus meinem Erleben gebracht. Der Vortrag kam gut an und wenn ich so einen wieder mache, dann kombiniere ich ihn mit einem Workshop, indem ich Ohropax austeile und Schwerhörigkeit erleben lasse. Das wäre für die Kinder gewiss eine interessante Erfahrung.

Ich stelle mir gerade vor, wenn diese Vortrags-/Workshopkombination auch in Firmen stattfinden würde - oder in Familien..... da fängt mein SozialarbeiterInnen- und Schwerhörigenherz zu lodern an...
diefrogg - 16. Feb, 19:58

Gut zu wissen,

dass Du solche Kurse gibst - wer weiss, vielleicht bin ich mal froh um Deine Erfahrung!

Bei unserer Firma allerdings ist der Spardruck so gross, dass ich schon überglücklich war, als ich neulich meinen jungen Kollegen in einem Kurs erzählen durfte, dass sie deutlich mit mir sprechen müssten.

Neulich hat mir jemand erzählt, dass die Firma Siemens Tondokumente hat, die Schwerhörigkeit simulieren. "Das fährt den Leuten jeweils ziemlich ein", sagte sie. Und da ist ja dann der Ohrendruck, der Tinnitus und all das Zeug wahrscheinlich noch nicht dabei. Falls Du interessiert bist, stelle ich Dir gerne den Kontakt zu meiner Kollegin her!
bonanzaMARGOT - 16. Feb, 11:29

Witzig!

rabi - 10. Mär, 08:03

Obwohl du es schon tausend Mal erwähnt hast, vergesse ich auch immer wieder, dass du hörbehindert bist. Also, ich meine, während ich deine Texte lese, denke ich nicht "Das hat jetzt 'ne Hörbehinderte geschrieben". Aber ich kann mir schon vorstellen, dass es sehr nervig ist, wenn alle Leute um einen herum nur nuschelnuschel bzw. Nuschelnuschelnuschelnuschel sagen.

diefrogg - 18. Mär, 12:08

Dein Kommentar...

... bringt die merkwürdige Zweischneidigkeit der ganzen Situation auf den Punkt, Rabi. Ich bin ja ganz viele Dinge mehr als nur hörbehindert. Auch bin ich froh, wenn ich nicht über die Schwerhörigkeit allein wahrgenommen werde. Gleichzeitig hilft es aber natürlich, wenn die Leute rundum ein Bewusstsein dafür haben, dass ich da hörbehindert bin, und dass das ihnen unter Umständen einen kleinen Mehraufwand bei der Kommunikation abfordert.
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