20
Feb
2015

"Fifty Shades" und die Mamis

Neulich im Kino: Ein ganzer Schwarm Frauen liess sich um mich herum nieder. Einige musterten mich unverhohlen. Mir fiel das Frauenefeindlichste ein, was die Medien über "Fifty Shades of Grey" gesagt haben: Das sei "Mommy Porn". Was immer das heissen soll - es stimmt nicht, wie ein ebenso unverhohlener Blick auf die Frauen rundum zeigte. Die meisten hätten meine Töchter sein können. Es verführt aber junge Frauen dazu, unfreundliche Dinge über ältere Frauen zu denken. Und umgekehrt.

Ich habe also "Fifty Shades of Grey" gesehen. Soll ich jetzt auch noch einen Einstern-Verriss schreiben? Man gilt ja als leicht debil, wenn man es nich tut. Also gut: Ich fand die erste Hälfte (ohne Sex) so langweilig, dass ich die zweite Hälfte (mit Sex) beinahe verdöst hätte.



Ich lernte im Film eine Stärke des Buchs vermissen: Autorin E L James weiss dramatische Wendepunkte wie elektrische Schläge zu setzen. Die Leinwand-Umsetzung arbeitet definitiv mit Schwachstrom.

Aber eines oder zwei kleine Highlights für halb Wachgebliebene gabs doch. Meins hängt damit zusammen, dass der Film krampfhaft seine Verwandschaft mit der Mutter aller Liebesschmonzetten geltend machen will: mit Jane Austens Stolz und Vorurteil. Wohl deshalb spielt die Engländerin Jennifer Ehle eine nicht unbedeutende Nebenrolle - die wenig lebenstüchtige Mama von Heldin Anastasia Steele.

Anglophilen Muttis springt der Name sofort ins Auge: Ehle spielte in einer legendären BBC-Verfilmung aus dem Jahre 1995 Elizabeth Bennet, die Heldin von "Stolz und Vorurteil" - an der Seite von Colin Firth, no less:



Ehle gibt Mutter Steele als warmherzig-überdrehte Nervensäge. Davon gibts noch keine Bilder. Schade. Eine kleine, aber gelungene Performance.

9
Feb
2015

Fingeralphabet

Mein Patensohn Tim (9) erzählt stolz: "In der Schule haben wir zuerst das Thema Sehbehinderte durchgenommen. Dann das Thema Hördehinderte." Er hat sogar das Fingeralphabet gelernt, was mir grossen Eindruck macht. Vielleicht sollte ich es auch lernen, damit wir zusammen im Fingeralphabet witzeln können.

"Wir haben auch Regeln gelernt, wie man mit Hörbehinderten umgehen soll", berichtet er.

"Was sind denn die Regeln?" frage ich.

"Erstens: Anschauen beim Sprechen, nuschelnuschel, antippen oder nuschelnuschelnuschel. Nuschelnuschelnuschelnuschel."

Oder anders gesagt: Ich verstehe kein Wort. Er vergisst immer wieder, dass ich eine Hörbehinderte bin.

3
Feb
2015

Männer fürs Grobe

In der Moderne ist der Schriftsteller - erst recht der Dichter - ein empfindsamer Mensch. Er nimmt die feinsten Erschütterungen der menschlichen Seele wahr und fasst sie in fein ziselierte Sprache.

Ich will nun nicht behaupten, dass Dante (1265–1321) nicht empfindsam wäre. Das ist er auf seine Art sehr wohl, wie wir vielleicht noch sehen werden. Aber ein Sensibelchen ist er nicht. Als er in der Göttlichen Komödie den drei Raubtieren begegnet, weicht er zwar erst einmal aus. Aber schon schaut er dem Geist eines zu Römerzeiten verstorbenen Dichterkollegen ins Gesicht - es ist Vergil. Er fleht den Kollegen um Hilfe an. Vergil rät ihm, es nicht mit den drei Bestien aufzunehmen. Er solle sie statt dessen grossräumig umgehen: mitten durchs Jenseits, sprich: durch die Hölle, das Fegefeuer, den Himmel. Vergil verspricht, dass er Dante führen werde.

Dante zögert keine Sekunde: "Poeta!", spricht er, "Dichter!" - und schon die Anrede lässt ahnen: Er ist bereit, mit dem Kollegen in die tiefsten Abgründe der menschlichen Existenz zu blicken. Wie ein rechter Dichter es eben tun sollte. Und so brechen sie auf, zwei Männer fürs Grobe, zwei Entdecker der menschlichen Seele - Blut, Busen, grässliche Martern und himmlisches Entzücken inklusive. Das waren noch richtige Dichter - Boulevardjournalisten, Vermesser der Welt und grosse Seelen zugleich, bereit zu lebensgefährlichen Abenteuern.


(Dante und Vergil auf der Fähre über den Styx von Eugène Delacroix; Quelle: Wikimedia)

Diesen Anspruch findet man in der Literatur des 20. Jahrhunderts nicht an jeder Strassenecke. Und damit man ihn glaubwürdig enlösen kann, muss man einiges auf dem Kasten haben. Aber es gibt ihn, in neuerer Zeit vielleicht sogar wieder öfter. Neulich habe ich - wie alle bildungsbeflissenen Schweizer - den Koala von Lukas Bärfuss gelesen. Darin beschreibt Bärfuss, wie die Kolonisatoren unter Schweiss, Blut und unerträglichen Strapazen Australien eroberten. Das hatte etwas Danteskes - nur ohne grosse Seelen und ohne himmlisches Entzücken.

1
Feb
2015

Im mittleren Alter

Ein Mann mittleren Alters befindet sich in einer Lebenskrise. Er irrt - bildlich gesprochen - durch einen finsteren Wald.

Wohl verstanden, wir reden hier von der Lebenskrise eines Mannes. Die spezifisch weiblichen Probleme des Älterwerdens sind anderswo Thema.

Was den Mann in unserer Gesichte plagt, ist - sagen wir mal - nicht so konkret, dafür sehr bildhaft. Zwar sieht er schon die Anhöhe vor sich, die ihm Überblick verspricht. Doch da stellt sich ihm eine Furcht erregende Raubkatze in den Weg. Die Szene fasziniert Künstler seit 700 Jahren. Das Internet ist voll von Bildern davon. Hier der Klassiker von Gustave Doré:


(Quelle: Wikimedia)

Wahrscheinlich fällt jetzt bei vielen der Groschen: Ja, was ich hier erzähle, ist der Anfang von Dantes Göttlicher Komödie*.

Warum ich hier diese Geschichte nacherzähle? Nun, eigentlich wegen Herrn Jossele (bei dem ich mich hiermit abwesenderweise bedanke). Als ich Ende 2013 in Krisenstimmung war, hat Herr Jossele mir einmal geschrieben, so ab einem gewissen Alter müsse man drüber nachdenken, was denn im Leben noch gelebt werden wolle.

Ich weiss nicht mehr, woher es kam, aber ich war drauf und dran zu antworten: "Ich möchte noch Dantes Göttliche Komödie lesen."


Dante Alighieri, Quelle biografieonline.it


Ich kannte das Buch nur aus unzähligen Fussnoten meines Literaturstudiums. Ich ahnte nicht, dass Herr Dante mich - wie als Antwort auf meine eigene Krisenstimmung - auf eine umfassende Forschungsreise durch den gesamten geistigen Kosmos des Hochmittelalters mitnehmen würde. Ich lese wie gebannt.

Nur: Worin bestand die Krise des Mannes mit dem Sinne für stilvolle Hutmode eigentlich? Nun, nebst der gefleckten Katze bedrängten ihn eine bissige Wölfin und ein Löwe - was die drei Bestien darstellen, darüber streiten die Kommentatoren trefflich - Ich habe mich schliesslich für diese Deutung entschieden: Sie stehen für die verbotene Lust, die Gewalt und die Habgier.

*Dante Alighieri: "La Comedia ; Die Göttliche Komödie ; Band I Inferno / Hölle" ; Stuttgart, PhilippReclam jun., 2010 (Übersetzung und - zuweilen geradezu launiger - Kommentar von Hartmut Köhler)

28
Jan
2015

Pannen! Pannen! Pannen!

Schlaftrunken wanke ich zum Gestell mit den beiden Hörgeräten. Als ich sie einsetzen will, passiert die erste Panne: Die Batterie aus dem Gerät rechts löst sich und fällt. Ich höre noch, wie sie auf den Boden tifft. Aber wohin rollt sie? Keine Ahnung!

Es ist Morgen, ich bin eben aufgestanden. Ich mache das Licht an - aber das ist so eine Sparbirne, die erst nach einer Viertelstunde Betrieb ihre volle Leuchtkraft erlangt. Eine Kerze würde mehr bringen! Ich krieche auf den Knien durchs Zimmer und taste den Boden ab. Die Batterie ist unauffindbar.

Ich begnüge mich erst mal mit dem linken Hörgerät und krieche noch ein paar Minütchen unter Herrn T.s Duvet. Ich liege auf der linken Seite, muss also immer den Kopf anheben, wenn er etwas sagt.

Er sagt: "Hast Du eigentlich nicht gehört, dass es gestern Nacht an unserer Tür Sturm geklingelt hat?" "Nööö", murmle ich. "Also wirklich!" sagt er. "Dabei hat Fräulein Zart in Panik geläutet, sicher viermal. Sie war ausgegangen und hat ihren Hausschlüssel verloren. Sie musste sich die Wohnungstür aufbrechen lassen." Fräulein Zart ist unsere Nachbarin.

Ich hatte friedlich gepennt.

"Hoffentlich hast Du sie hereingelassen und ihr eine Tasse Tee angeboten", sage ich. Fräulein Zart verdient sorgsame Behandlung. Wenn sie die halbe Nacht da draussen an der Kälte hätte herumstehen müssen! Die Vorstellung bereitet mir im Halbschlaf sachtes Unbehagen.

"Ach, sie wollte keinen Tee, sie wollte bloss eine Zigarette rauchen", sagt Herr T.

"Du weisst, wo wir den Aschenbecher aufbewahren, oder?", sage ich. Herr T. murmelt, sie habe gar keinen gebraucht. Aber warum? Verstehe ich irgendwie nicht.

In letzter Zeit habe ich oft das Gefühl, dass mir die Wirklichkeit allmählich entgleitet.

Heute Morgen habe ich wenigstens die verlorene Hörgeräte-Batterie wieder gefunden. Sie war bis in den Korridor gerollt. Dort wäre es schon hell gewesen.
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Journal einer Kussbereiten

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