14
Nov
2015

SMS nach Paris

Es sollte ein ruhiger Tag werden. Ich war allein zu Hause. Gestern war ich im Kino gewesen und spät zu Bett gegangen. Ich war sogar zu faul, mir zum Kaffee die Zeitung zu holen. Der Staubsauger und die Gartenschere warteten auf mich. Ich schob die Arbeit noch ein bisschen vor mir her und schmökerte in einem Roman von Jane Austen. Dann das tägliche SMS von meiner Mutter - irgendetwas über Paris. "Was soll schon in Paris sein?" dachte ich und begann, den Minzstrauch auf dem Balkon zu schneiden.

Ein zweites SMS, von einer Freundin, "erschüttert über das, was in Paris passiert ist". Da startete ich den PC auf (ich kann mit dem Handy nicht mehr online). Gott, war die Kiste langsam! Dann endlich die Nachrichten aus Paris.

Mit einem Fuss stecke ich immer noch in jener Journalisten-Welt, in der der Verstand jede Neuigkeit mit einer Art seismischem Messgerät untersucht. Wird sie die Welt erschüttern? Ist sie wichtig? Und wenn ja: Wie wichtig? Das hier tendierte auf meiner News-Richterskala gegen 8. Das ist viel. Jedenfalls im Vergleich mit allem, was ich bisher erlebt habe. "Vielleicht brauchen wir ja alle bald ein neues Messgerät", dachte ich.

Emotional blieb merkwürdig taub. Ich rumpelte mit dem Staubsauger durch die Wohnung. Bis mir einfiel: Mein Liebster, Herr T., war gestern in einer Bar in einer fernen Schweizer Stadt gewesen. Ich in einem Restaurant in einer anderen Schweizer Stadt. Würden wir zufällig in Paris leben, hätte es einen von uns erwischen können. Auf dem Weg ins Kino. In der Bar. Gut, in Kundus und Erbil, in Aleppo und Bagdad erwischt es seit langer Zeit Kinogänger und Barbesucher (wenn man dort überhaupt - noch - ins Kino geht). Auf unseren Seismografen registriert das - wenn überhaupt - bei 1 oder 2.

Dennoch: Als ich fertig gestaubsaugt hatte, rief ich Herrn T. an. Und dann smste ich der Prinzessin - einer Schulfreundin. Sie lebt seit vielen Jahren in Paris. Sie antwortete nach einer halben Stunde - "wohlauf aber sprachlos." Dann smste ich meiner Mama.

In solchen Stunden scharen wir unsere Lieben um uns. Wir zählen, ob sie alle da sind. Auch wenn die meisten von uns weit weg sind von Paris.
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

November 2015
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 6 
 7 
 9 
10
11
12
13
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
30
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7148 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Sep, 17:51

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren