17
Jul
2010

Top 5 Engadin: Kino Scuol

Dieser letzte Engadin-Tipp ist nicht mehrheitsfähig. Er ist allenfalls, vielleicht, vielleicht, kultig. Herr T. findet es nicht einmal kultig. Herr T. sagt, das Kino Scuol sei ein trauriger Ort. Ein Kino sollte ein Treffpunkt sein, findet er. Das Kino von Scuol sei kein Treffpunkt. In der Vorsaison hat man dort gute Chancen, den Saal für 300 Leute mit nur einem halben Dutzend müden Gestalten zu teilen. Was Herr T. nicht bedacht hat: Weil man so allein ist mit ihnen, kommt man dann doch unweigerlich ins Gespräch.

Aber nicht deswegen liebe ich dieses Kino. Ich liebe es, weil man hier Dörflichkeit, vergangene touristische Grandezza und die Idee Kino feiert. Die Idee Kino hat in meinen Augen eben wenig mit Treffpünktlichkeit zu tun. Sondern mehr mit der Flucht aus dem Dorf, mit Lichterglanz und grossen Gefühlen.

Doch vor dem Kino Scuol ist man noch mitten im Dorf, auf dem Pausenplatz des Schulhauses. Der Eingang zum Lichtspielhaus führt auch ins Schulgebäude.

Kino Scuol

Die Lampen im Torbogen sind unverkennbar Jugendstil-Leuchten. Es müssen wohlmeinende Lehrpersonen gewesen sein, die sie mit einer Holzarbeit verunziert haben.

In der Vorhalle springt einen zuerst die bäurische Strenge der Engadiner Vergangenheit an: Zur Linken hängt ein expressionistisches Winterbild. Im Vordergrund sieht man eine alte Bauernfrau auf einem Schlitten. Sie blickt mit unendlich bitterer Miene über ein Schneefeld auf ein Engadiner Dorf. Rechts dagegen winken schon die frivolen Vergnügungen des Kinos: Da steht das uralte Kassenhäuschen - am Schalter ein Plastik-Container mit rosaroten Süssigkeiten und ein Stapel der neuesten "Film demnächst"-Ausgabe.

Wir kauften eine Karte und betraten den Saal. Er ist reich mit Holzschnitzereien verziert. Man sollte früh hingehen. Damit man Zeit hat, sich ihn anzusehen, bevor die Lichter ausgehen.

Wir sahen "Crazy Heart". Kein schlechter Film, wenn man bedenkt, dass wir keine Wahl hatten. Es war der einzige Abend in unseren zwei Ferienwochen, in denen das Kino geöffnet war.



Die ältere Frau in der Reihe vor aus hatte als junge Frau im Tourismus-Büro gearbeitet. Der Saal diene auch als Austragungsort von Gemeindeversammlungen, erzählte sie uns. Und: "Früher war ich hier für die Programmierung zuständig. Als ich anfing, hatte ich ziemlichen Respekt vor dieser Arbeit. Aber man sagte mir: 'Wenn Du ein volles Haus willst, dann setz einfach 'Spiel mir das Lied vom Tod' aufs Programm. Das wirkt immer.' Das war auch so."
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